10.08.2012
„Charakter“ als Einstellungsmerkmal
Charakter statt Stromlinie. Immer häufiger erkennen Unternehmen das Potential von Querdenkern mit sogenannten "krummen" Lebensläufen. Der optimale Lebenslauf, von professionellen Beratern empfohlen: Studium an einer Spitzenuniversität, selbstverständlich in Rekordzeit, möglichst viele Praktika, davon einige im Ausland, zwei Fremdsprachen fließend, mobil, strahlend weißes Lächeln, modischer Kurzhaarschnitt (auch die Frauen!), Partner – aber ungebunden und allzeit einsatzbereit. (Joschka Fischer, der bisher immer noch populärste Außenminister unseres Landes, wäre mit seinem Lebenslauf in seinem eigenen Ministerium wohl nicht mal als Pförtner in die engere Wahl gezogen worden.)
Hinter diesen vor Fachkompetenz strotzenden, analytisch brillanten, kühl kalkulierenden Köpfen stecken nicht selten berechnende - wenn’s drauf ankommt illoyale - Opportunisten ohne Persönlichkeit und Charakter. Zahlreiche Manager- und Politikerskandale der jüngsten Vergangenheit belegen dies eindrucksvoll. Da werden ohne Skrupel Zahlen manipuliert, Bilanzen frisiert, Doktorarbeiten abgeschrieben und die Raffgier kennt schier keine Grenzen.
Zum Glück gibt es auch die Gegenbewegung: Unternehmen wissen, dass Querdenker mit Kreativität, Empathie und sozialem Geschick, die Vorbild sind, Werte leben, die verlässlich und offen für Neues bleiben, oft erfolgreicher arbeiten, als die im Windkanal glatt geschliffenen Karrieristen mit ihren eingefahrenen Strukturen und Lösungsmustern. Die Charakterfrage könnte künftig bei der Bewerberauswahl also den Ausschlag geben. Und zeugt es nicht auch von Charakter ein Unternehmen zu verlassen, mit dessen Kultur und Wert man sich nicht länger identifizieren kann?
Stehen Sie im Bewerbungsverfahren also zu allem, was sich in Ihrem Leben bisher ereignet hat. Entschuldigungen oder gar Rechtfertigungen sind nicht angebracht. Stellen Sie lieber heraus, wie all diese Ereignisse zur Formung Ihrer Persönlichkeit beigetragen haben. Und dann formulieren Sie doch mal in einem Vorstellungsgespräch Ihre Auffassung eines optimalen Arbeitsplatzes und trauen Sie sich die alles entscheidende Frage: „Was tun Sie als Unternehmen eigentlich dafür, dass ich mich an meinem Arbeitsplatz so wohl fühle, um 100 % meiner Energie für die Lösung der täglich anfallenden Probleme einsetzen zu können?“ Von der Antwort machen Sie abhängig, ob Sie in dem Unternehmen anfangen werden oder nicht. Wenn dem verdutzten Personaler vor lauter Überraschung der Mund offen stehen bleibt und er zu keiner Antwort fähig ist, dann lächeln Sie milde. Seien Sie großzügig. Er ist auch nur ein Mensch!